Grußwort zur Tagung Leben pur 2010 - Sexualität

Irmgard Badura
Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Ihnen danken, dass Sie mich gebeten haben, als Schirmherrin diese Veranstaltung zu unterstützen. Dadurch habe ich einmal mehr erfahren, dass es in meinem Amt thematisch keine Grenzen gibt.
Wenn ich dies vor gut einem Jahr gewusst hätte, hätte ich, na ja wäre ich dennoch Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung geworden. Mir ist es nämlich wichtig, alle, wirklich alle Belange von Menschen mit Behinderungen insbesondere in Bayern zu kennen und entsprechend zu vertreten. Vor allem sehe ich es als meine Aufgabe, Menschen zu unterstützen und deren volle Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen, die ihre Bedürfnisse und Belange nicht selbst äußern können. Mit dem Thema Liebe, Nähe, Sexualität bei Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen wurde für die diesjährige Tagung ein Thema gewählt, dass bislang in der breiten Öffentlichkeit bei Weitem noch nicht angekommen ist. Ich danke Ihnen, Ihrem Team und den Referentinnen und Referenten, dass wir hier gemeinsam einen neuen Versuch starten, um auf ein grundlegendes Recht von allen Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen. Auf das Recht nach selbstbestimmter Lebensgestaltung und individueller Lebensführung.
Und ich freue mich, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste, dass Sie der Einladung zur diesjährigen Tagung der Stiftung Leben pur gefolgt sind. Es zeigt, dass der Bedarf an Austausch, Information insbesondere bei Themen, die tabuisiert werden enorm ist. Ein Auftrag an uns als Gesellschaft hier entgegenzuwirken.
Liebe, Nähe, Sexualität sind keine Begriffe, die getrennt sondern in der Gesamtheit zu betrachten sind. Sie bestimmen sogar in gewissem Sinne unsere Lebensqualität. Es sind Gefühle, die jeder Mensch im Verlauf seines Lebens erfahren sollte, um dann für sich persönlich zu entscheiden, wie er als Individuum diese Empfindungen ausleben möchte. Es sind aber auch Gefühle, die leicht missverstanden werden können. Insbesondere im Kontakt zu Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen, die sich nicht in der gleichen Art und Weise artikulieren können. Daher wird es schwer, zwischen Liebe und Überbehüten zu unterscheiden, zwischen Nähe und Abhängigkeit oder eben zwischen Sexualität und sexualisiertem Missbrauch. Die Grenzen scheinen hier fließend zu sein. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Menschen, die schwere oder mehrere Behinderungen haben in ihrem Umfeld, durch ihre Umwelt erfahren, wie sie diese Grenzen erkennen und abbauen können. Daher bedarf es insgesamt einer umfassenden sachlich fundierten Aufklärung. Eine Aufklärung, die sich nicht nur auf die Monatshygiene eingeht sondern auch darauf, was anderen und ihnen selbst, möglich ist.
Dieses Wissen ist umso wichtiger, da diese Lebensbereiche durch vorgegebene sterile und straffe strukturelle Abläufe geprägt sind. Wie viel bewusste Zeit bleibt einem Menschen zuhause oder anderswo um sich mit sich, seinem Körper und seiner Sexualität auseinanderzusetzen? Und die Umwelt suggeriert in den Medien ständig was anderen, aber ihnen selbst nicht möglich ist. Was für viele Menschen selbstverständlich ist, ist für viele behinderte Menschen ein Problem!
Viele leiden unter der Situation: Entweder wird ihre Sexualität geleugnet, sie erfahren eine asexuelle Erziehung oder die Frage nach Sexualität belastet und überfordert die Angehörigen und diejenigen auf die sie im alltäglichen Umgang angewiesen sind. Das führt dazu, dass Aufklärung nur unzureichend oder gar nicht stattfindet. Es ist daher wichtig, dass in allen unterstützenden Bereichen, insbesondere während der Berufsausbildung, dieser Aspekt abgedeckt wird. Und mangelndes Wissen sollte im Rahmen einer Weiterbildung aufgebaut werden. Qualitätssicherung fängt genau hier an. Es muss ermöglicht werden, dass jeder Mensch entwicklungsangepasste Erfahrungen mit Liebe, Nähe und auch Sexualität erleben kann. Dadurch wird nicht nur der Mensch an sich bereichert sondern auch die Umwelt. Denn so entsteht Kommunikation, eine sensible und verletzbare Kommunikation, die aber ein Stück weit den Schlüssel zu einem reellen Leben darstellen kann. Stets unter dem Blickwinkel, dass man auf dem Weg ist, die eigene Selbstbestimmung zu entwickeln. Das Menschenrecht, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit vorgibt, ist unumstößlich. Der Mensch als Individuum steht im Mittelpunkt. Daher könnte doch gerade mit dem Persönlichen Budget hier durchaus etwas erreicht werden. Jeder von uns hat ein gewisses Maß an finanziellen Mitteln und entscheidet für sich persönlich, wie sie oder er damit das Leben ausgestaltet, welche Bedürfnisse damit befriedigt werden. Und genau diese Möglichkeit muss auch behinderten Menschen eingeräumt werden.
Heute und morgen werden zahlreiche Fachbeiträge und Workshops angeboten, die sich allesamt mit der Gefühlswelt zwischen Liebe, Nähe und Sexualität befassen. Es werden wissenschaftliche Beiträge geboten, praxisorientierte Erfahrungen ausgetauscht, Workshops angeboten und es melden sich Experten in eigener Sache zu Wort. Eine gute Mischung, für alle Suchenden neue Möglichkeiten einer Lebensgestaltung zu finden. Ob auf der Suche nach der eigenen Persönlichkeit oder der Unterstützung anderer dabei, ob es um den Austausch untereinander geht oder der Wissenserweiterung.
Ich wünsche Ihnen allen eine gute Veranstaltung und dass Sie aus dem Folgenden fachlich und menschlich profitieren. Denn wir wollen doch insgeheim alle das Gleiche: Das Leben mit allen Sinnen und pur genießen!

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