Grußwort zur Tagung Leben pur 2008 - Schmerz

Dr. Marianne Koch
Ärztin, Medizinjournalistin, Präsidentin der Deutschen Schmerzliga

Tagung Leben pur 2008 - Prof. Andreas Fröhlich, Marianne Koch
Grußwort Tagung Leben pur 2008 - Marianne Koch
Tagung Leben pur 2008 - Heinrich Fehling, Marianne Koch

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Angehörige, Pflegerinnen und Pfleger, liebe Gäste,
ich danke Ihnen, dass Sie mir die Gelegenheit geben, zu dieser Tagung ein Grußwort zu sprechen, und ich freue mich, hier unter Ihnen sein zu dürfen. Über das Leben als Behinderte in einer auf Leistung fixierten Gesellschaft ist viel und oft gesprochen worden. Selbst wenn die äußeren Bedingungen sich in mancher Hinsicht doch verbessert haben – zum Beispiel durch Abnahme der Barrieren in öffentlichen und privaten Räumen –, so bleibt nicht nur in dieser Hinsicht unendlich viel zu tun. In ein Leben als Behinderte können sich Nichtbetroffene nur schwer hineindenken und -fühlen. Umso wichtiger ist es, dass durch Veranstaltungen wie diese ein öffentliches Ausrufezeichen gesetzt wird, auch wenn diese Tagung in erster Linie Ihnen und Ihren Familien zugute kommen wird.
Auch chronische Schmerzen sind für Nichtbetroffene ein schwierig zu verstehendes Phänomen. "Nur der kann Schmerz beurteilen, der selbst Schmerzen hat", heißt es immer wieder. Schließlich gibt es keine objektiven Befunde, die Schmerzen bestätigen könnten, das heißt: Keine Laborwerte, keine Röntgen- oder Ultraschallaufnahmen belegen, dass und wie sehr ein Patient leidet. Und so stößt der Leidende oft auf Unverständnis in seiner Umgebung, selbst in einer wohlmeinenden - das belegen viele Äußerungen, von denen uns in der Schmerzliga berichtet wird.
Dazu kommt die allgemein unbefriedigende Situation der Schmerzpatienten in Deutschland, weil Schmerzdiagnostik und -therapie in unseren Universitäten immer noch kein Pflichtfach für Medizinstudenten ist, und die jungen Ärzte und Ärztinnen - man muss wohl sagen: skandalöserweise - aus dem Studium entlassen werden, ohne Kenntnisse über die vielfältigen Formen des Schmerzes und seiner Linderung erworben zu haben.
Unter dieser Tatsache werden auch Sie, falls Sie oder Ihr Kind neben der Behinderung auch noch chronische Schmerzen haben, so wie ca. 8 - 10 Millionen andere Schmerzkranke in diesem Land, zu leiden haben. Umso wichtiger ist es, dass diese Tagung sich den vielfältigen Formen des Schmerzes und seiner Therapie widmet. Dass es um die unterschiedlichen Faktoren geht, körperliche, seelische, soziale, behinderungstypische, die beteiligt sind am Schmerzgeschehen, aber auch an seiner Bewältigung.
Ich denke, beides, das Phänomen des Schmerzes und das seiner Aufhebung bzw. Ausschaltung sind als Teil der Grundausstattung des Menschen anzusehen. Der Schmerz als Warner und Schutz-Signal für bedrohliche Situationen am und im Körper; aber auch als ein unausweichliches, den Menschen begleitendes, sowohl von ihm gestaltetes als auch ihn gestaltendes Geschehen - oder wie Prof. Manfred Zimmermann, einer der Pioniere der Schmerzforschung unserer Tage, es ausdrückt: Der Schmerz als anthropologisches Konzept - findet sich in allen Jahrhunderten und allen Kulturen. Ob er Dämonen zugeordnet wird, die in den Menschen eindringen und ihn quälen und die durch Magie und Beschwörung wieder aus ihm vertrieben werden müssen; ob er im Sinne des Christentums mit der Formel "Leid bringt uns Gott näher" den Menschen wenigstens Hoffnung gegeben hat und noch gibt; oder ob er, nach den Überzeugungen der modernen Schmerzforschung, eine Funktion des Nervensystems darstellt - immer hat es intensive Bemühungen gegeben, sich dieses Schmerzes zu bemächtigen und ihn aus dem Leben der Betroffenen, der Leidenden, zu entfernen oder wenigstens erträglich zu machen.
Und so sind auch heute, auf dieser Tagung, medizinische wie religiöse, suggestive wie verhaltenstherapeutische Ansätze zu erleben, die Ihnen die Möglichkeiten aufzeigen, den Schmerz in all seinen Facetten durch das Zusammenwirken vieler Experten, aber auch mit Hilfe der eigenen Selbstheilungskräfte zu bewältigen.
Ich wünsche dem Kongress ein gutes Gelingen und Ihnen, liebe Teilnehmer, einen großen Erfolg in der Linderung aller Arten von Schmerz.

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